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Aktuelles

im Stadtigel

Intensive Landwirtschaft contra Amphibienpopulation

Ein Fallbeispiel an der Talsperre Koberbach (nordwestlich der Stadt Zwickau)

Vorausschickend möchte ich bemerken, dass dieser Beitrag eine Verkürzung meines Vortrages anlässlich der 18.LFT für Feldherpetologen und Ichthyofaunisten ist. Es handelt sich hierbei nicht um einen Angriff auf den Berufsstand des Landwirtes, sondern um eine Schilderung der realen Vorkommnisse im Wassereinzugsgebiet der Talsperre Koberbach.


Ein Aufreger war für mich ein Artikel in der Freien Presse vom 17.10.2012. Die Talsperre
Koberbach, ein fasst ausschließlich touristisch genutzter Wasserspeicher in Südwestsachsen, wurde von der Landestalsperrenverwaltung (LTV) innerhalb kurzer Zeit zum dritten Mal mit wasserbautechnischen Maßnahmen belegt. Es wurde der Wasserspiegel gesenkt und selektiv/partiell der angefallene Schlamm/Sedimente beseitigt. Diese Maßnahmen sollten die Wasserqualität der Talsperre verbessern. Grund: Im Juli habe man nach der langanhaltenden Sonneneinstrahlung ein Absterben der Wasserorganismen festgestellt. In diesem Zusammenhang wurde auch auf Cyanobakterien hingewiesen. Als Verursacher wurde also die Sonne, im Zuge dessen die Fotosynthese, mit Hinweis auf Cyanobakterien benannt. Eine wichtige Bemerkung zu dieser Thematik ist, dass die Talsperre jedes Jahr, also regelmäßig in den Sommermonaten mit Badeverbot belegt wird, mit dem Hinweis auf schlechte Wasserqualität durch Cyanobakterien. Nennung des grundlegenden Problems findet nicht statt. Meine bescheidene Antwort darauf sind Beobachtungen und Feststellungen, die ich im Rahmen diverser Monitoringverfahren
seit 2006 gemacht habe.


Mai 2006:

Nach einer sehr heftigen Platzregenperiode war für mich die Amphibiensuche an dieser Talsperre und deren Nebengewässer sowie Zuläufe ziemlich ernüchternd. Eigentlich wollte ich damals nicht so richtig in die „Natur“. Regen, Matsch, nasse Feldfrüchte und damit
ein hergehendes unbequemes Laufen schreckten mich ab. Doch Pflicht in Form des Honorarvertrages führten zu der Entscheidung, die Kontrolle auf Reproduktion der diversen Amphibien in der Mono- Agrar- Landschaft nach diesem extremen Regen durchzuführen. Mais, Raps betteten die Teiche ein die westlich der Talsperre liegen und durch Entwässerungsrinnen gespeist werden, die dann in die besagte Talsperre münden. Larven wurden schon vor 2 Wochen dort gesichtet. Und jetzt Nichts. Ein Bürger sprach mich damals an: Was suchste denn hier? Kaulquappen? Kannste vergessen, die haben vor 2 Tagen gespritzt und dann der Regen.

 

Alles tot. Und es war alles tot.


Keine Amphibienlarven, keine Wasserinsekten, tote Fische, ja sogar tote Wasservögel. Ergebnis eines Biozideinsatzes der ansässigen Agrargenossenschaften (2). Die systemisch wirkenden Biozide wurden vom Starkregen von den Pflanzen gespült und gelangten so in die Teiche und in die Talsperre, mit verheerender Wirkung. Seit 2006 mache ich nun mehr oder weniger die gleichen Beobachtungen. Agrarchemie, Monokultur und amphibiesches Leben stehen sich konträr gegenüber. Einsatz von „normaler“ Agrarchemie, sowie Biozideinsatz sind erlaubt und gehören zu der sogenannten „guten landwirtschaftlichen Praxis“. Als normale Agrarchemie bezeichne ich organischen und anorganischen Dünger.

 

Juni 2012:

Nach der Feststellung, das in 80% des Gebietes inklusive der Gewässer keine Amphibien nachzuweisen waren, erfolgte im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten mittels eines mikroelektronischen pHWert- Messgerätes eine Überprüfung der Gewässer.
 

Aus Abbildung 1 sind die Messwerte zu ersehen. Von pH-Wert 7, neutral, bis in den hohen basischen Bereich, mit 11,8, hier nördliche Flachwasserzone der Talsperre. Nun kann man die Messgenauigkeit anzweifeln, aber ob der Wert bei 12 liegt oder 10, ist eigentlich unerheblich. Denn pH-Werte über 9 können, so die Literatur, tödlich für Amphibien sein. Temporäre Schwankungen des pH-Wertes sind für die Entwicklungsstufen der Amphibien ebenfalls nicht zuträglich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

April 2013:

Bei einer Begehung wurde an der nordwestlichen Entwässerungsrinne des Gebietes ein Verstoß gegen die Festlegung „5-Meter-Abstand zu Gewässerrändern beim Aufbringen von Agrarchemie“ festgestellt. Die durch mich initiierte Überprüfung des LfULG, hier das zuständige Landwirtschaftsamt, ergab: Zeitgleicher Einsatz eines Flüssigdüngers in Kombination eines Fungizides mit einem Pestizid (Pyrethroid) auf der gleichen Fläche, mit wie oben erwähnt, Spritzen in den 5-Meter-Bereich der Entwässerungsrinne.

Eine sofortige Messung der pH-Werte ergaben analoge Ergebnisse wie 2012, wobei im Bereich der Spritzmaßnahme pH-Wert 11,3 vorlag.


Auszug aus der Antwort LfULG: PS-Maßnahme am Zufluss der Koberbach TS:
„… Der Raps wurde am 24.04.2013 mit Flüssigdünger und danach auch mit einem Fungizid
und einem Insektizid (kein Neonicotinoid, sondern Pyrethroid) behandelt. ... “. Spätere Informationen zu den hohen pH-Werten in diesem Bereich ergaben, dass die UWB (Untere Wasser Behörde) bereits 2012 zu einem Teich gerufen wurde, in dem alle Fische und Amphibien tot waren. Als Ursache wurden: „ … wenig Zufluss und sehr hohe Temperaturen
... “ermittelt ( verkürzt aus 2 E-Mail von LfULG an Autor, 04 u. 11/2013).


Weitergehende Informationen zu Pestiziden, wie z.B. die Wirkung von Pyrethroiden, können
bei Wikipedia nachgelesen werden. In der RANA, Heft 10, gibt ein Beitrag Informationen über die Beeinträchtigung von Amphibien durch Düngemittel, also die von mir genannten „normalen“ Agrarchemikalien. In einer Studie des Umweltbundesamtes (Presseinformation 07/2013) mit dem Titel „Pestizide können Amphibien gefährden“, werden ebenfalls Ergebnisse über die Mortalitätsrate bei Amphibien durch verschiedene Pflanzenschutzmittel (PSM) dargestellt. Bei Berger et al. (2011) kann man sich ebenfalls über synergetische Effekte beim Einsatz von Agrarchemikalien informieren.


Dieser durch gute landwirtschaftliche Praxis aufgebrachte Chemiecocktail, siehe o. g.
E-Mail, führte dazu, dass im Gebiet der TS der Amphibienbestand stark abgenommen hat
bzw. sich so negativ darstellt das man von einer baldigen Auslöschung sprechen kann. Beim
Grünfrosch-Komplex, bei der Knoblauchkröte ist es wahrscheinlich schon so weit, d. h. es
gibt keine Nachweise mehr. Erdkröte, Grasfrosch, Laubfrosch, sowie die Molcharten Teich- und Bergmolch sind im starken Rückgang begriffen (teilweise mehr als 50 %).


Ist das vielleicht die Vision zu Biodiversität und Landwirtschaft, die der Industrieverband Agrar e.V., Interessenvertreter der agrochemischen Industrie vertritt: Die ureigene Zweckbestimmung jeder Landwirtschaft ist es, natürliche Ökosysteme zu Gunsten von Nutztieren und Kulturpflanzen zu beeinflussen. … So entsteht ein Agrarsystem mit spezifischem Arteninventar(?)... Diese Lebensgemeinschaften unterliegen einer oft hohen Dynamik(!?)...“. Man kann es wirklich nicht lesen und zu Ende denken (siehe www.iva.de). Der genannte Teil der Inanspruchnahme der Landschaft durch die Landwirtschaft betrug immerhin 55%!, dem gegenüber steht möglicher Lebensraum von rund 33% (Wald, Wasser, Abbauland) der insgesamt rund 1.85 Mio ha Bodenfläche im Freistaat Sachsen, laut Mitteilung des Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Kamenz 2013.


Der Lebensraum für bestimmte Pflanzen und Tiere schrumpft beträchtlich, liegt an der TS
Koberbach wahrscheinlich unter 3 % der Landfläche und wird durch oben dargestellte landwirtschaftliche Beeinflussung in seinen Minimalstrukturen sehr stark beeinflusst. Es handelt sich also um einen akut gefährdeten Lebensraum (siehe pH-Wert-Messung). Auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche können sie nicht leben und in der Talsperre werden sie nicht überleben. Hier tritt eigentlich zu Tage, dass sich Biodiversität, also die Vielfalt des Lebens und intensive, moderne (?) Landwirtschaft sich nicht bedingen, sondern sich ausschließen.


Noch ein Aspekt wäre in diesem Zusammenhang zu nennen. Laut einer ZDF- Dokumentation »Das stille Gift« , 05/2013, müssen Landwirte einen gesetzlich festgelegten Sachkundenachweis zwecks Biozideinsatz erbringen. Aber die Kontrolle vor Ort durch die zuständigen Landwirtschaftsämter bzw. Pflanzenschutzdienste auf richtige Anwendung, hier Einhaltung Mindestabstände, Beachtung der Windgeschwindigkeit usw., ist personell fast unmöglich. Bundesweit verfügen die Behörden hierfür nur über 109 Personalstellen für Verkehrs- und Anwendungskontrollen von PSM. Diese kontrollieren ca. 300 000 landwirtschaftliche Betriebe, auf einen Kontrolleur entfallen also rund 2.800 BE.


Bei zwei Feldkontrollen täglich bräuchte man also ca. 4 Jahre um jeden Bauer ein mal zu
prüfen. Als Beweis dieser Tatsache sollte eine Mitteilung aus der Schweriner Volkszeitung
(SVZ), 27.04.2014, unter Rubrik: Gift auf dem Acker: Kunden in Sorge, dienen. Prüfer stellten bei untersuchten Feldfrüchten eine zum Teil erhebliche Überschreitung der Grenzwerte fest. Es wurde sogar das seit Jahren verbotene Insektizid Lindan nachwiesen. Einzelne Feldkulturen wurden bis zu 16 mal während einer Vegetationsperiode gespritzt.


Fazit
Amphibien sind wahrscheinlich die am stärksten gefährdete Wirbeltierart. Als mögliche Ursachen werden immer wieder die globale Klimaerwärmung, in deren Zusammenhang erhöhte UV-Strahlung, ansteckende Krankheiten und die Vernichtung von Lebensräumen genannt. Nie beachtet wurde bisher der Einfluss der Landwirtschaft, die durch Landinanspruchnahme den Lebensraum der Amphibien hat massiv schrumpfen lassen sowie durch ihre Produktionsmethoden, durch Ausbringung von organischen und anorganischen Substanzen, Dünger und Bioziden, die noch verbliebenen Landhabitate und ihre Fortpflanzungshabitate so stark belasten, dass diese an den Rand der Existenz gedrängt werden. Amphibien werden nicht in weiter Ferne vernichtet, sondern vor unserer Haustür. Wir sind es, die Schuld daran haben, denn für wen produziert der Landwirt? Für
uns. Wer will immer billigere Lebensmittel? Wir. Wie schafft man billige Lebensmittel? Durch
immer intensivere landwirtschaftliche Methoden, die die erwähnten Folgen haben.


Umweltpolitische Entscheidungen tun hier Not. Wer aber wählt die »Entscheider«? Wir! Wer
kann sie beeinflussen? Nur wir! Oder doch die Lobbyisten? Selbst als Privatperson sind wir
schon hörig und setzen in unseren Gärten Biozide ein.

 

Ronald Peuschel


Literatur und Quellennachweis
Berger, G., Pfeffer, H. & Th. Kalettka (Hrsg) (2011): Amphibienschutz in kleingewässerreichen Ackergebieten.
Natur & Text, Rangsdorf
Freie Presse (2012): Kober: Verwaltung zieht den Stöpsel (17.10.2012)
Lenuweit, U. (2009): Beeinträchtigungen von Amphibien durch Düngemittel – Ein Überblick. RANA 10
Mitteilungen für Feldherpetologen in Norddeutschland
Schweriner Volkszeitung (SVZ) (2014): Gift auf dem Acker: Kunden in Sorge (27.04.2014)
Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (2013): Flächen nach Art der tatsächlichen Nutzung, Kamenz
Umweltbundesamt (2013): Pestizide können Amphibien gefährden. Presseinformation 07/2013
ZDF (2013): ZDF-Dokumentation: Das stille Gift

 

Internetquellen
Industrieverband Agrar e.V.
www.iva.de
Koch-Achelpöhler, V. (2010): Positionspapier – Biodiversität und Landwirtschaft, www.iva.de (20.09.2010)
Wikipedia: Pyrethroide ff
http://de.wikipedia.org/wiki/Pyrethroide

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